Verkehrsunfall – ich brauche doch keinen Anwalt! Oder doch?

2015-04-09-228Viele Geschädigte, die unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt werden, verzichten darauf, einen Anwalt einzuschalten. Warum eigentlich? Hier einige Argumente, die ich immer wieder höre. Und einige Anmerkungen dazu von mir:

1. Die Haftung ist doch klar!
Die Haftung ist erst dann klar, wenn die Versicherung die volle Haftung schriftlich anerkannt hat oder den Schaden vollständig bezahlt hat. Vorher ist gar nichts klar. Die Versicherung ist nicht vor Ort. Sie wird erst nachträglich eingeschaltet. Und sie richtet sich zunächst einmal nach dem, was der Versicherungsnehmer ihr schildert. Selbst wenn der Unfallverursacher vor Ort einsichtigt ist, heißt das noch lange nicht, daß er das seiner Versicherung anschließend auch so meldet.

2. Die Polizei hat den Unfall aufgenommen. Der andere hat ein Knöllchen bekommen.
Die Polizei kümmert sich nicht um die Schadenregulierung. Die Polizei bewertet nur, ob jemand eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat begangen hat. Und gegen das Knöllchen kann sich der andere immer noch wehren.

3. Ich habe bei der Versicherung schon angerufen. Die schicken einen Gutachter.
Der Gutachter, der von der Versicherung den Auftrag erhält, wird das Gutachten auch im Interesse der Versicherung erstellen. Er wird das Gutachten so schreiben, daß es für die Versicherung möglichst billig wird (Reparaturweg, Referenzwerkstatt, Restwertbörse, Wertminderung …). Und der Gutachter bewertet nur den Fahrzeugschaden, nicht die weiteren Schadenpositionen (Kostenpauschale, Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden…). Dein Anwalt kann Dir einen versicherungsunabhängigen Gutachter vermitteln.

4. Die Versicherung hat mich schon angerufen. Die haben sogar eine Werkstatt, in der ich den Wagen reparieren lassen kann.
Dann ist das Schadenmanagement bzw. die Schadensteuerung der Versicherung schon in vollem Gange. Die Versicherung versucht, den Geschädigten möglichst früh abzufangen. Er soll so gelenkt werden, daß die Sache für die Versicherung möglichst billig wird. Und die Werkstatt der Versicherung ist meist billiger als die Werkstatt Deines Vertrauens. Willst Du wirklich ausprobieren, ob diese für die Versicherung so günstige Werkstatt qualitativ so gut ist wie die Werkstatt Deines Vertrauens?

5. Die Versicherung hat mir schon Formulare geschickt.
Nicht ausfüllen! Nicht das Formular der Versicherung ausfüllen. Die Formulare der Versicherung sind so gestaltet, daß sie für die Versicherung gut sind, nicht für den Geschädigten. Die Versicherung ist auf der Suche nach Gründen, nicht oder nicht alles zahlen zu müssen.

6. Einen Anwalt einschalten, das sind doch unnötige Kosten.
Wenn die Versicherung für den Unfall zahlen muß, muß sie in der Regel auch die Anwaltskosten übernehmen. Und warum solltest Du zugunsten der Versicherung auf professionelle Hilfe verzichten?

7. Ich brauche keinen Anwalt – ich kann das selber.
Nein, das kannst Du nicht. Ganz sicher nicht. Es sei denn, Du bist Fachmann und hast regelmäßig mit Schadenregulierung zu tun. Du weißt vielleicht, daß Dir eine allgemeine Kostenpauschale von 25,- € bis 30 ,- € zusteht. Aber was ist mit Wertminderung und Nutzungsausfall? Wie sieht es mit einem Mietwagen aus? Schon mal was von Schwacke-Liste oder Fraunhofer-Tabelle gehört? Von der VKS-Honorarbefragung oder dem HB-Korridor nach BVSK? Von Nutzungsausfall? Von subjektbezogener Schadensbetrachtung? Ist der Unterschied zwischen fiktiver und konkreter Abrechnung bekannt und wie beide kombiniert werden können? Weißt Du, was es mit Haushaltsführungsschaden, Verdienstausfall und einem Feststellungsurteil bei Personenschaden auf sich hat?
Bist Du immer noch davon überzeugt, daß Du das selber kannst?

8. Ich war in meiner Werkstatt. Die haben gesagt, ich brauche keinen Anwalt. Und einen Gutachter auch nicht.
Dann arbeitet Deine Werkstatt wahrscheinlich mit der Versicherung zusammen. Frag einfach mal nach. Die Werkstatt möchte möglichst schnell die Reparaturrechnung bezahlt bekommen. Das steht ihr zu und das soll auch so sein. Teilweise gibt es Abkommen zwischen Werkstätten und Versicherungen, nach denen die Werkstatt kurzfristig einen Vorschuß von der Versicherung oder sogar die kompletten Reparaturkosten erhält, solange keine Anwälte und Gutachter eingeschaltet werden. Aber was ist mit den weiteren Schadenpositionen? Mit Wertminderung, Kostenpauschale, Nutzungsausfall, Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden? Daran hat die Werkstatt kein Interesse. Darum kümmert sie sich nicht. Damit kennt sie sich auch nicht aus. Dein Anwalt schon.

9. Wenn die Versicherung nicht alles zahlt, kann ich immer noch zum Anwalt.
Ja, das kannst Du. Aber die Fehler, die Du am Anfang gemacht hast, kann der Anwalt nachträglich nur schwer ausmerzen. Und in diesem Fall verdient der Anwalt auch weniger, weil sein Honorar sich nach dem Gegenstandswert richtet. Also, geh sofort zum Anwalt, dann profitieren beide davon.

 

Update vom 14.4.15: Hier gibt es den Beitrag als PDF-Datei.

2 Kommentare zu „Verkehrsunfall – ich brauche doch keinen Anwalt! Oder doch?

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